Stadtklima-Erwärmung geht weiter

Am Montag, 4. April 2022 stellte der Weltklimarat seinen neuen Bericht zum Thema Klimaschutz vor. Anlässlich dessen hielt UN-Generalsekretär António Guterres eine Rede, die historisch ist (hier der verschriftlichte Originaltext auf Englisch, hier die Simultanübersetzung auf Deutsch). Sie ist schon alleine wegen ihrer Schärfe gegenüber den Staaten, die die Klimapolitik versemmeln, bemerkenswert. Vor allem, weil Guterres sie als UN-Generalsekretär ja auch vertritt.

Hier die Rede:

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Die Geschworenen haben ein Urteil gefällt: Und es ist vernichtend. Der neue Bericht des Weltklimarats (IPCC) ist eine Litanei der gebrochenen Klimaversprechen. Er ist eine Akte der Schande. Er katalogisiert die leeren Versprechen, die uns auf den Weg in eine unbewohnbare Welt führt. Wir befinden uns auf der Überholspur zur Klimakatastrophe: Große Städte unter Wasser. Noch nie dagewesene Hitzewellen. Schreckliche Stürme. Weitverbreitete Wasserknappheit. Das Aussterben von einer Million Pflanzen- und Tierarten.

Dies ist keine Fiktion oder Übertreibung. Die Wissenschaft sagt uns, dass dies das Ergebnis unserer derzeitigen Energiepolitik sein wird. Wir steuern auf eine globale Erwärmung zu, die mehr als doppelt so hoch ist wie die 1,5-Grad-Grenze, die in Paris vereinbart wurde. Einige Regierungschefs und Wirtschaftsgrößen sagen das eine – aber tun das Gegenteil. Kurz gesagt: Sie lügen. Die Folgen werden katastrophal sein. Wir befinden uns in einem Klimanotstand. KlimawissenschaftlerInnen warnen, dass wir bereits gefährlich nahe an Kipppunkten stehen, die zu kaskadenartigen und unumkehrbaren Klimaauswirkungen führen könnten. Doch jene Regierungen und Unternehmen, die hohe Emissionen verursachen, stellen sich nicht nur blind, sondern heizen das Feuer noch weiter an.

Aufgrund ihrer Eigeninteressen und ihrer historischen Investitionen in fossile Brennstoffe ersticken sie unseren Planeten, auch wenn billigere, erneuerbare Lösungen grüne Arbeitsplätze, Energiesicherheit und eine größere Preisstabilität bieten. Wir haben die letzte Weltklimakonferenz in Glasgow mit einem naiven Optimismus verlassen, der auf neuen Versprechen und Verpflichtungen beruht hat. Aber das Hauptproblem - die enorme, wachsende Emissionslücke - wurde so gut wie ignoriert. Die Wissenschaft ist eindeutig: Um das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Limit in Reichweite zu halten, müssen wir die globalen Emissionen in diesem Jahrzehnt um 45 Prozent senken. Die derzeitigen Klimazusagen würden jedoch einen Anstieg der Emissionen um 14 Prozent bedeuten.

Die meisten großen VerschmutzerInnen tun nicht einmal genug, um selbst diese unzureichenden Versprechen zu erfüllen. KlimaaktivistInnen werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Doch die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe vorantreiben. Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe sind moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn. Solche Investitionen werden schon bald verloren sein - ein Schandfleck in der Landschaft und Gift für Anlageportfolios. Aber so muss es nicht sein.

Der IPCC-Bericht konzentriert sich auf den Klimaschutz, also darauf, wie man klimaschädliche Gase drosselt. Er zeigt in jedem Sektor tragfähige, wirtschaftlich seriöse Optionen auf, die es ermöglichen, das 1,5-Grad-Ziel am Leben zu halten. Wir müssen vor allem die Energiewende dreimal so schnell vorantreiben. Das heißt, wir müssen Investitionen und Förderungen von fossilen Brennstoffen in erneuerbare Energien umleiten. Und zwar jetzt! In den meisten Fällen sind erneuerbare Energien ohnehin bereits viel billiger.

Das bedeutet: Regierungen müssen die Finanzierung der Kohle beenden - zuhause und im Ausland. Industrieländer, multilaterale Entwicklungsbanken, private Finanzinstitute und Unternehmen müssen fürs Klima Koalitionen schließen und die großen Schwellenländer bei der Umstellung unterstützen. Wir müssen Wälder und Ökosysteme schützen, weil sie das Klima wirksam schützen. Wir müssen die Methanemissionen schnell senken. Und wir müssen die Zusagen umsetzen, die in Paris und Glasgow gemacht wurden. Führungspersönlichkeiten müssen führen. Aber jeder von uns kann seinen Teil dazu beitragen. Wir stehen in der Schuld junger Menschen, der Zivilgesellschaft und indigener Gemeinschaften, die Alarm geschlagen und die Politiker zur Verantwortung gezogen haben. Wir müssen auf ihrer Arbeit aufbauen, um eine Graswurzelbewegung zu gründen, die nicht ignoriert werden kann.

Wenn Sie in einer Großstadt oder am Land leben; wenn Sie in den Aktienmarkt investieren; wenn Ihnen die Gerechtigkeit und die Zukunft unserer Kinder am Herzen liegt, wende ich mich direkt an Sie: Fordern Sie, dass erneuerbare Energien jetzt kommen - schnell und im großen Stil! Fordern Sie ein Ende der Kohleverstromung! Fordern Sie die Abschaffung aller Subventionen für fossile Brennstoffe! Der IPCC-Bericht erscheint in einer Zeit weltweiter Turbulenzen. Die Ungleichheit hat ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Die Erholung von der COVID-19-Pandemie zeigt das auf skandalöse Weise auf. Die Inflation steigt, und der Krieg in der Ukraine lässt die Lebensmittel- und Energiepreise in die Höhe schnellen. Doch wenn man nun die Produktion fossiler Brennstoffe weiter ausbaut, wird sich die Lage nur noch verschlimmern.

Die Entscheidungen, die die Länder jetzt treffen, besiegeln, ob wir das 1,5-Grad-Ziel schaffen – oder scheitern. Eine Umstellung auf erneuerbare Energien wird unseren kaputten globalen Energiemix wieder in Ordnung bringen. Sie wird Millionen Menschen, die heute unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, Hoffnung geben. Klimaversprechen und -pläne müssen in die Tat umgesetzt werden. Und zwar jetzt! Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, unseren Planeten zu verbrennen - und in die reichlich vorhandenen erneuerbaren Energien um uns herum zu investieren.

Quelle: Falter-Wochenzeitung

 


Ein paar gespendete Bäume in Kübeln auf einem versiegelten öffentlichen Platz. (Foto UGN)
Ein paar gespendete Bäume in Kübeln auf einem versiegelten öffentlichen Platz. (Foto UGN)